ANNE GRAEFER - AUG 15, 2022

Diversity light: Was ist eigentlich Diversity of Thought?

“The (empty) call for so-called diversity of thought is a Trojan horse for white identity politics. It is no coincidence that the majority of people advocating for this position are white men who feel slighted by an imagined diminution of their power.” Victor Ray

Am Anfang jeder Diversity & Inclusion Strategie geht es erst einmal darum, sich darüber zu verständigen, was Diversity eigentlich bedeutet. Hier gibt es seit einigen Jahren einen neuen Trend, der sich besonders in weiß dominierten Industrien großer Beliebtheit erfreut: Diversity of thought. Deloitte begrüßte Diversity of Thought schon 2013 als “Diversity’s new frontier” und verkündete, dass es an der Zeit wäre, “to rethink diversity (in order to) change how (organisations) define and harness human capital.”

Bei all der Euphorie, die dieser Ansatz auslöst, ist es ratsam, ihn auch einmal kritisch zu hinterfragen. Dazu soll dieser Blogpost beitragen.

Was ist ‘diversity of thought’?

Diversity of thought (auch kognitive Vielfalt) ist die Einbeziehung von Menschen, die unterschiedliche Problemlösungsstile haben und einzigartige Perspektiven bieten können, da sie unterschiedlich denken. Im Gegensatz zum ‘klassischen’ Diversity Ansatz, der sich auf eine Mischung von angeboren und sozialen Differenzkategorien (z.B. Alter, Geschlecht, Herkunft, Hautfarbe, (Be)hinderung u.s.w.) fokussiert, konzentriert sich kognitive Diversität auf eine Mischung von erworbenen Diversitätsmerkmalen (z.B. wie Menschen intellektuell aktiv sind, wie sie Assoziationen oder Schlussfolgerungen ziehen, oder welche politische Gesinnung sie haben).

Dabei hat diversity of thought nichts mit der Inklusion von neurodivergten Menschen (z.B. Autismus, ADHS, Dyskalkulie, Dyspraxie oder Dyslexie) zu tun. Es geht ja eben nicht um ‘angeborene’, sondern um ‘erworbenen’ Diversitätmerkmalen, die ich zum Beispiel durch meine Ausbildung und meine Auslands- oder Berufserfahrung gesammelt habe.

Warum ist ‘diversity of thought’ problematisch?

Um zu verstehen, warum dieser Ansatz so problematisch ist, ist es wichtig sich nochmal genau anzuschauen worauf dieser Ansatz fußt:

Diversity of thought basiert auf der Annahme, dass…

1. soziale Differenzkategorien wie Gender, (Be)hinderung oder Herkunft/Hautfarbe nur oberflächlich sind.

2. wir uns erst garnicht auf solche Oberflächlichkeiten einlassen sollten, denn wenn wir das tun, sind wir erst recht sexistisch, ableistisch und rassistisch.

3. wir uns auf ‘diversity of thought’ fokussieren sollten, denn wie Menschen unterschiedlich denken und die Welt verstehen, das ist echte Diversity.

Diese Argumente machen ersichtlich, warum ‘diversity of thought’ besonders in konservativen oder rechten Zirkeln begrüßt wird. Durch ‘diversity of thought’ müssen wir eigentlich nichts am Status quo verändern, denn mit diesem Ansatz ist es nun für einen Raum von weißen Männern (und weißen Frauen) möglich zu behaupten, sie lebten Diversity, da sie ja alle unterschiedlich denken.

Natürlich gibt es auch unter Menschen, die sich augenscheinlich ähnlich sind - aufgrund von Geschlecht, Hautfarbe oder Alter -, unterschiedliche Erfahrungen, die die persönliche Sichtweise prägen. Darüber hinaus müssen wir bedenken, dass nicht alle Diversity Dimensionen immer sichtbar sind (z.B. Religion, (Be)hinderung, sexuelle Orientierung). Eine Gruppe kann also auf den ersten Blick durchaus homogen aussehen, hat aber unterschiedliche ‘unsichtbare’ Diversity Dimensionen. Und es kann natürlich sein, dass auch die Mitglieder einer heterogenen Gruppe ähnlich denken.

Und dennoch: wer nur auf kognitive Vielfalt setzt ist schlecht beraten, denn Studie um Studie zeigt, dass Diversity (der Mix aus sozialen Differenzkategorien wie Gender und Race) zu besseren Entscheidungen und besserer Problemlösung führt.

Was spricht für ‘diversity of thought’?

Um knifflige Problem effizient lösen zu lösen, bietet es sich an das Problem aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und unterschiedliche Herangehensweisen zu diskutieren. Dafür ist es doch eigentlich egal, ob wir nun alle gleich aussehen, solange wir nur alle unterschiedlich denken, oder?

Katherine W. Phillips, Professor of Management an der Columbia University, hat sich lange mit der Frage beschäftigt, warum der Mix aus sozialen Differenzkategorien so entscheidend ist, wenn es darum geht optimale Lösungen für Probleme zu entwickeln und gute Entscheidungen zu treffen.

Phillips Experimente zeigen vor allem drei Gründe dafür:

1. Wenn wir sichtbare Unterschiede in einer Gruppe wahrnehmen, stellen wir uns unbewusst darauf ein, dass wir nicht alle die gleiche Meinung haben werden. Diese unbewusste Erwartungshaltung hat zwei Vorteile: Erstens sorgt sie dafür, dass wir uns im Vorfeld besser auf das Meeting vorbereiten (wir rechnen ja damit, dass wir Überzeugungsarbeit leisten müssen). Zweitens stellen wir uns darauf ein, im Meeting viele verschiedene Sichtweisen besprechen zu müssen.

2. Wenn wir sichtbare Unterschiede in einer Gruppe wahrnehmen, gehen wir unbewusst davon aus, dass wir nicht alle das gleiche Hintergrundwissen haben. Das bedeutet, dass wir, Informationen umfassender weitergeben und so besser kommunizieren.

3. Wenn wir sichtbare Unterschiede in einer Gruppe wahrnehmen, tendieren wir weniger dazu, uns mit den anderen zu vergleichen (#AffinityBias). Wir sehen ja auf den ersten Blick, dass wir anders sind. Das hat den großen Vorteil, dass es dem Groupthink1 den Nährboden entzieht.

Die Arbeit von Phillips und anderen Forscher*innen zeigt, dass der Vorteil von diversen Teams nicht unbedingt darin besteht, dass sie unterschiedlich über eine Problem nachdenken. Vielmehr geht es darum, dass sie anders agieren als homogene Teams. Wenn wir Unterschiede wahrnehmen, benehmen wir uns anders und darin liegt das große Potential.

Was wirklich zählt

Es gibt weitere Argumente, die zeigen, dass man nicht gut beraten ist, sich alleine auf kognitive Diversität zu verlassen. Dazu zählen Aspekte der psychologischen Sicherheit (siehe Blogeintrag zu Masculinity Contest Culture), Talent Retention und Risk-Management.

Dennoch ist die Frage nach immer mehr Beweisen, die zeigen sollen, dass sich Diversity auch ‘auszahlt’ wenig hilfreich. Zielführender kann es sein, sich folgende Punkte durch den Kopf gehen zu lassen und zu überprüfen, ob sie mit den eigenen Werten zusammenpassen:

1. Bei diversity of thought geht es nicht um ‘Diversity’, sondern um ‘Unterschiede’. Das sind aber zwei paar Schuhe:  Unterschiedlich sind wir am Ende alle. Und weil wir alle Individuen sind, denken wir auch alle ein bisschen anders. Darum geht es aber bei Diversity nicht.
Diversity ist ein Konzept das in der Bürgerrechtsbewegung seine Wurzeln hat. Deshalb stehen hier “historisch gewachsene gesellschaftliche Differenzkategorien im Mittelpunkt, die soziale Ungleichheiten hervorgebracht haben” (eb.at). Sprich: Alter, Hautfarbe, Geschlecht, ethnische Herkunft, Religion und Weltanschauung, sexuelle Orientierungen, (Be)hinderungen und Beeinträchtigungen. Durch diese so-genannten Kernkategorien wurde und wird definiert, was normal bzw. nicht normal ist, wer wo inkludiert bzw. davon ausgeschlossen wird oder wer als krank bzw. gesund gilt.
Selbstverständlich gibt es neben diesen Kerndimensionen noch andere Dimensionen von Diversity. Der springende Punkt ist aber, dass ‘diversity of thought’ diese Grundpfeiler unserer Identität, die strukturelle Auswirkungen auf unseren Zugang zu Bildung oder Teilhabe haben, einfach als irrelevant (weil nicht profitabel) unter den Teppich kehrt. Und so können Unternehmen, die an Fairness und einer inklusiven Unternehmenskultur interessiert sind, mit diesem verkürzten Konzept nicht erfolgreich arbeiten.

2. Diversity of thought sollte das Ergebnis und nicht der Ausgangspunkt von Diversity Bemühungen sein. Viele haben argumentiert, dass ‘Gedanken Vielfalt’ als Ergebnis vielfältiger  Repräsentation in der Belegschaft erreicht wird. Das liegt daran, dass unsere Gedanken und Perspektiven nicht in einem Vakuum entwickelt werden, sondern dadurch wie wir sozial verortet sind: Es ist eben ein Unterschied, ob wir in Ulm oder Ulan-Bator aufgewachsen sind. 1960 oder 1990. Ob unsere Eltern davon überzeugt waren, wir würden mal im Ausland studieren oder ob eine weiterführende Ausbildung ein Luftschloss war (Hucke, 2019).  Und mit dieser sozialen Verortung kommt auch Ausgrenzung durch strukturelle Benachteiligung. Dies will Diversity durch Inclusion abbauen, damit wir sicherstellen, dass Menschen mit möglichst verschiedenen sozialen Differenzkategorien am Tisch sitzen und mitentscheiden können.

3. Diversity of thought hindert uns daran, Unconscious Bias am Arbeitsplatz anzugehen, denn – wie unzählige Studien und auch die Entwickler*innen des Harvard Implicit Association Test (Banaji & Greenwald, 2016) argumentieren – Unconscious bias bewegt sich entlang sozialer Differenzkategorien wie Geschlecht, Alter, Herkunft /Hautfarbe, (Be)hinderung usw. Wenn wir nicht darin trainiert sind, kritisch über diese Differenzkategorien nachzudenken, können wir die mentalen Abkürzungen, die unser Urteilsvermögen und unsere Entscheidungsfindung trüben, nicht erkennen (geschweige denn reduzieren).

4. ‘Diversity of thought’ ist Ausdruck von Privileg. Menschen, die nicht von struktureller Diskriminierung betroffen sind, haben das Privileg Gespräche zu vermeiden, die sie nicht führen wollen. Wenn man sich auf ‘diversity of thought’ beschränkt, kann man es vermeiden, über Themen zu sprechen, die für andere Menschen wichtig sind. Diskriminierungserfahrungen, die durch Rassismus, Sexismus oder Ableismus im Arbeitsumfeld verursacht werden, werden so leicht ausgeblendet. Aber Probleme, die nicht besprochen werden, werden eben auch nicht gelöst.

Was nun?

Immer häufiger wird hervorgehoben, dass das eigentlich Ziel von mehr Vielfalt nicht besonders ‘bunte’ Teams sind, sondern unterschiedliche Perspektiven - diversity of thought. Selbstverständlich macht es Sinn das Team durch Quereinsteiger*innen und Mitarbeitende aus anderen Branchen zu verbessern. Wenn wir uns aber nur auf ‘diversity of thought’ beschränken und soziale Differenzkategorien einfach unter den Tisch fallen lassen, wird Diversity verwässert. Ähnlich wie beim ‘Pinkwashing’ oder ‘Greenwashing’ geht es dann oft nur darum ein Diversity-Image zu erhalten, ohne wirklich etwas zu verändern.

1. Der Groupthink ist oft der Grund für schlechte Entscheidungen und beschreibt ein Verhalten, das besonders in homogenen Teams zum Tragen kommt. Es bedeutet, dass abweichende Meinungen und konträre Ideen von den Beteiligten nicht angesprochen werden. Er entsteht Konformität. Selbst wenn die Gruppenmitglieder mit Aussagen und Entscheidungen nicht einverstanden sind, lassen sie diese unkommentiert, um die Harmonie und den Zusammenhalt nicht zu stören.  Sie zensieren sich selbst, um sich reibungslos in die Gruppe einzufügen. Das führt oft zu schlechten Entscheidungen (Hucke, 2019).

*Dieser Blogpost wurde am 24.08.2022 aktualisiert. In der vorherigen Version wurde die Rolle von weißen Frauen in der Aufrechterhaltung dieses Ansatzes unsichtbar gemacht.


References:

Banaji, M. & Greenwald, A. (2016) Blindspot: Hidden Biases of Good People. Castilla, E. & Benard, S. (2010) ‘The paradox of meritocracy in organizations’. Administrative Science Quarterly, 55, pp. 543-576.

Chen, J. et al. (2019) ‘Why female board representation matters: The role of female directors in reducing male CEO overconfidence’, Journal of Empirical Finance, Vol. 53, pp. 70-90.

Dezsö, C. & Ross G. (2012) ‘Does female representation in top management improve firm performance? A panel data investigation’, Strategic Management Journal, 33(9), pp. 1072-1089.

Hucke, V. (2019) Fair führen. Campus Verlag, Frankfurt/New York

Phillips, K.  (2014) ‘How Diversity Makes Us Smarter. Being around people who are different from us makes us more creative, more diligent and harder-working.’ Scientific American available at: https://www.cs.jhu.edu/~misha/DIReadingSeminar/Papers/Phillips14.pdf

Phillips, K. & Loyd D. (2006) ‘When surface and deep-level diversity collide: The effects on dissenting group members.’ Organizational Behavior and Human Decision Processes, 99(2), pp. 143-160.

Maurer, C. C. and Qureshi, I. (2021) ‘Not just good for her: A temporal analysis of the dynamic relationship between representation of women and collective employee turnover’, Organization Studies, 42(1), pp. 85–107.

Richard, O. et al. (2003) ‘Employing an Innovation Strategy in Racially Diverse Workforces: Effects On Firm Performance’, Group & Organization Management, 28(1), pp. 107–126.

Warum ausgerechnet wir?

“We speak the same language with Anne since our first meeting. She is an open, natural, knowledgeable communicator and a flexible business partner. Happy to develop together with her on our globally implemented Unconscious Bias workshops.”

— Sevkan Bolu, Global HR Manager, Vaillant Group
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