ANNE GRAEFER - NOVEMBER 8, 2024

Was ist eigentlich Leadership Bias?

"Menschen verlassen nicht Unternehmen, sondern Vorgesetzte."

Auch wenn dieser viel zitierte Satz vielleicht zu viel Verantwortung auf Führungskräfte legt, steckt doch ein wahrer Kern darin: Denn obwohl man als Führungskraft nicht alles in der Hand hat, kann man doch dazu beitragen, dass alle Kolleg*innen faire Chancen erhalten. Damit dies gelingt, ist es notwendig, Führungskräfte in Unconscious Bias zu schulen und Leadership Bias zu reduzieren.

Zur Definition

Auf den ersten Blick könnten wir vermuten, dass es sich bei ‘Leadership Bias’ um einen ganz bestimmten Unconscious Bias handelt, der nur Führungskräfte betrifft.

Ganz so einfach ist es aber nicht, denn bei dem Ausdruck ‘Leadership Bias’ handelt es sich um einen Oberbegriff, der viele verschiedene kognitive Wahrnehmungsverzerrungen miteinschließt: Zum Beispiel den Affinity Bias (‘Gleich und gleich gesellt sich gern’), den Confirmation Bias (‘Ich sehe nur das, was ich sehen will’) oder den Attribution Bias (‘Mit zweierlei Maß messen’). Daneben spielen auch unbewusste Vorurteile und Stereotype eine wichtige Rolle. Denn die beeinflussen unbewusst, was ich von einer Person erwarte, wen ich in einer gewissen Position sehe, wen ich übersehe, bei wem ich aufmerksam zuhöre und bei wem ich die Messlatte mal etwas höher ansetze.

Leadership Bias zeigt sich also, wenn Führungspersonen in ihren Entscheidungen und Bewertungen durch unbewusste Denkmuster oder Stereotype beeinflusst werden.

Sind Führungskräfte besonders stark betroffen?

Führungskräfte sollten in Unconscious Bias geschult sein, denn ihre Entscheidungen haben weitreichenden Einfluss. Dieser spiegelt sich nicht nur in strategischen Aufgaben wieder, sondern auch in  Beförderungs- und Auswahlverfahren, dem Wohlbefinden der Mitarbeitenden und der Unternehmenskultur insgesamt. Ihre Entscheidungen haben einfach am meisten Gewicht - deshalb sollten sie möglichst bewusst und fair sein.

Darüber hinaus gibt es zwei Faktoren, die Führungskräfte besonders anfällig für Unconscious Bias machen: Erstens stehen Führungskräfte oft unter dem Druck, schnelle und effektive Entscheidungen zu treffen. In stressigen oder zeitkritischen Situationen verlassen wir uns oft auf unser „Bauchgefühl“. Das führt dann zu Entscheidungen, die von unbewussten Stereotypen oder Annahmen beeinflusst werden (Greenwald & Krieger, 2006).

Zweitens müssen Führungskräfte oft in komplexen Sachverhalten entscheiden. Zeitdruck und eine komplexe oder ambivalente Entscheidungssituation, in der ich nicht genügend Information habe, aber trotzdem handeln muss, führt dazu, dass ich auf  mentale Abkürzungen oder sogenannte Heuristiken zurückgreifen muss. Dieses Vertrauen auf Heuristiken erhöht das Risiko für unbewusste Vorurteile, weil dabei die bewusste und rationale Überlegung oft auf der Strecke bleibt.

Think Manager, Think Male?

Leadership Bias zeigt sich aber auch schon in der Definition von ‘Führung’ selbst. Viele Studien zeigen zum Beispiel, dass wir Führungsqualitäten mit agentischen Eigenschaften wie Entschlossenheit, Durchsetzungsvermögen und Wetteifer assoziieren (Ely & Kimmel, 2018). Eigenschaften, die stereotyp männlich konnotiert sind. Mit so einer Definition von Führung ist es dann wenig erstaunlich, dass Frauen, die stereotyp eher als beziehungsorientiert, kommunikativ oder emotional angesehen werden, in ihrer Karriere zur Führungskraft beeinträchtigt sind.

Unser unbewusstes Denken erkennt sie nicht, da sie nicht dem sogenannten Leadership Prototype entsprechen, den wir unbewusst internalisiert haben.

Daran ändert leider auch die Tatsache nichts, dass wir mehr als zwei Geschlechter haben. Denn obwohl die Binarität der Geschlechter - zumindest wissenschaftlich - lange widerlegt ist, halten sich diese Gender Stereotype hartnäckig in den (un)bewussten Vorstellungen über kompetente Führung.

Think Leader, Think White?

Wenn wir an erfolgreiche Führungskräfte denken, spielen viele unbewusste Vorurteile eine Rolle – und es geht dabei nicht nur um Geschlechterstereotype. Ein bedeutender Faktor ist auch der Zusammenhang zwischen Führungskompetenz und Hautfarbe. Studien zeigen, dass wir oft dazu neigen, weißen Menschen eher Führungsqualitäten zuzusprechen als People of Color.

In ihrem Artikel „The White Standard: Racial Bias in Leader Categorization“ führten Forscher*innen vier verschiedene Untersuchungen durch. Sie wollten herausfinden, wie stark die Hautfarbe unsere Bewertung von Führungsstärke beeinflusst. Das Ergebnis: Die Teilnehmenden verknüpften Führungskompetenz häufiger mit weißen Personen, unabhängig davon, wer tatsächlich in einer Organisation präsent ist. Noch deutlicher wird das Vorurteil, wenn es um die Einschätzung von Effektivität geht – weiße Führungskräfte wurden als fähiger und mit größerem Potenzial bewertet.

Woher kommt das? Ein Blick in die Geschichte hilft: Während der Kolonialzeit und im Zuge der Industrialisierung waren Machtpositionen fast ausschließlich in der Hand weißer, privilegierter Männer. Diese Vergangenheit wirkt bis heute nach, nicht nur in unseren Vorurteilen, sondern auch in den Strukturen, die unseren Arbeitsalltag prägen.

Unsere Vorstellungen davon, was eine „professionelle“ Arbeitsumgebung ausmacht, sind nicht neutral, sondern nachhaltig durch whiteness geprägt, was wiederum ungleiche Karrierechancen schafft. Die Autorin und Inclusion-Expertin Ruchika Tulshyan beschreibt es treffend:

‘In the workplace, white supremacy culture explicitly and implicitly privileges whiteness and discriminates against non-Western and non-white professionalism standards related to dress code, speech, work style, and timeliness. Accepted workplace norms privilege those who already have an advantage because of a white-sounding name, family with Western culture and a Eurocentric appearance.

Ein Beispiel hierfür wäre das Erscheinungsbild mit glatten Haaren, welches schwarze Frauen und Frauen, die ihre Haare bedecken, benachteiligt. Wenn wir rational und logisch darüber nachdenken, können wir alle sehen, dass die Haare einer Person nichts über ihre Kompetenz aussagen. Unbewusst haben wir aber verinnerlicht, dass glatte, gepflegte Haare, ordentlich zu einem Dutt oder in einen Bop frisiert, unserem Bild von Professionalität entsprechen.

Was tun, um Leadership Bias abzubauen?

Um Leadership Bias in den Griff zu bekommen, ist es entscheidend, sich der eigenen unbewussten Vorurteile bewusst zu werden. Das klingt paradox, aber nur wer erkennt, wie Bias im eigenen Denken wirkt, kann daran arbeiten, faire und rationale Entscheidungen zu treffen.

Hier geht es darum, tiefsitzende Denkmuster zu hinterfragen, die unsere Wahrnehmung von Führungsqualitäten prägen: Wen sehe ich in dieser Rolle? Wen übersehe ich? Wer wird gefördert? Und bei wem landen immer wieder die undankbaren Aufgaben, die halte erledigt werden müssen, aber niemanden für höhere Weihen empfehlen?

Unconscious Bias Trainings können helfen, diese Muster sichtbar zu machen und konkrete Strategien zu entwickeln, um sie zu durchbrechen. Kleine Schritte, wie bewusst diverse Perspektiven einzubeziehen oder objektive Kriterien für Bewertungen zu schaffen, können viel bewirken. So kann Leadership Bias schrittweise abgebaut werden, um eine gerechtere und inklusivere Unternehmenskultur zu fördern.

Quellen
Ely, R. J. and Kimmel, M. (2018) ‘Thoughts on the workplace as a masculinity contest’, Journal of Social Issues, 74(3), pp. 628–634.

Greenwald, A. G. and Krieger, L. H. (2006) ‘Implicit bias: Scientific foundations’, California Law Review, 94(4), pp. 945–967.

Gündemir, S., Homan, A. C., de Dreu, C. K. W., and van Vugt, M. (2014) ‘Think Leader, Think White? Capturing and Weakening an Implicit Pro-White Leadership Bias’, Journal of Experimental Social Psychology, 50, pp. 423–428.

Heilman, M. E. (2001) ‘Description and prescription: How gender stereotypes prevent women's ascent up the organizational ladder’, Journal of Social Issues, 57(4), pp. 657–674.

Koenig, A. M., Eagly, A. H., Mitchell, A. A., and Ristikari, T. (2011) ‘Are leader stereotypes masculine? A meta-analysis of three research paradigms’, Psychological Bulletin, 137(4), pp. 616–642.

Rosette, A. S., Leonardelli, G. J., and Phillips, K. W. (2008) ‘The White standard: racial bias in leader categorization’, Journal of Applied Psychology, 93(4), pp. 758–777.

Schein, V. E. (1973) ‘The relationship between sex role stereotypes and requisite management characteristics’, Journal of Applied Psychology, 57(2), pp. 95–100.

Schein, V. E., Mueller, R., Lituchy, T., and Liu, J. (1996) ‘Think manager—think male: A global phenomenon?’, Journal of Organizational Behavior, 17(1), pp. 33–41.

Tversky, A. and Kahneman, D. (1974) ‘Judgment under Uncertainty: Heuristics and Biases’, Science, 185(4157), pp. 1124–1131.

Bemerkung: Weiß ist in diesem Blogeintrag kursiv geschrieben, um die konstruierte Natur dieses Begriffes zu verdeutlichen. Es ist klein geschrieben, da es sich, im Gegensatz zu Benennungen wie Schwarz und People of Color, um keine politische empowernde Selbstbezeichnung, sondern um die konkrete Benennung einer privilegierten Positionierung handelt. Ich folge hier Lann Hornscheidt.

Warum ausgerechnet wir?

“We speak the same language with Anne since our first meeting. She is an open, natural, knowledgeable communicator and a flexible business partner. Happy to develop together with her on our globally implemented Unconscious Bias workshops.”

— Sevkan Bolu, Global HR Manager, Vaillant Group
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