Was ist eigentlich ‘Toxic Masculinity’?
“
toxic masculinity,” a (heterosexual) masculinity that is threatened by anything associated with femininity (whether that is pink yogurt or emotions) - Sarah Banet-Weiser and Kate M. Miltner.
Der Begriff
toxic masculinity wird oft benutzt, wenn es darum geht aggressives Dominanzverhalten von heterosexuellen cis-Männern zu beschreiben.
Toxic masculinity (zu Deutsch ‚schädliche /toxische Männlichkeit‘) ist ein Konzept, das gerne mal falsch verstanden wird. Ganz schnell endet man bei der Gleichung Männer = Toxisch. So einfach diese Gleichung auch erscheint, sie ist leider falsch, denn bei dem Konzept geht es nicht um ‚Männer‘ (sex), sondern um ‚Männlichkeit‘ (gender). Also darum, was wir als männliches Verhalten anerkennen und was nicht. Genauer gesagt, geht es darum zu erkennen, dass bestimmt Aspekte die traditionell zum
Mann-werden dazu gehören, schädlich sind. Schädlich für sie selbst, aber auch alle anderen um sie herum.
Bei ‚Toxic Masculinity‘ geht es nicht darum, dass Männer schädlich oder schlecht sind
Grundidee dahinter ist, dass wir bei männlich gelesen Kindern bestimmte Verhaltensweisen fördern, die ihnen vielleicht momentan weiterhelfen (zum Beispiel, um auf dem Schulhof nicht gehänselt zu werden), die aber auf Dauer toxisch sind. Deshalb dürfen Jungs gerne mal wild sein und über die Stränge schlagen, auch wenn das für andere unangenehme Folgen hat (‘Boys will be boys’). Jungs sollen sich durchsetzen können und keine Schwäche zeigen, damit ja keiner auf die Idee kommt sie zu dominieren. Nach dem Motto ‚Indianer kennt keinen Schmerz‘ ermutigen wir Jungs nicht zu weinen und versuchen sicher zu gehen, dass sie nicht am Ende noch ‚verweichlichen‘.
‚Wer toxische Männlichkeit erlernt hat, lebt mit einem Mangel‘, schreibt
Frederik Müller. ‚Diese Personen haben meist kein gutes Verhältnis zu ihrem Körper, können ihre eigenen Grenzen ebenso wenig respektieren wie die anderer und haben Schwierigkeiten damit, Gefühle zuzulassen, zu zeigen und zu verarbeiten. Konsequenzen hieraus sehen wir etwa im schlechten Umgang heterosexueller cis Männer mit dem eigenen Körper, ihrer Nachlässigkeit gegenüber der eigenen Gesundheit und ihrer Tendenz zu Depressionen, Sucht und Suizid.‘
Männlichkeit als Gegenteil von Weiblichkeit
Da sich Männlichkeit in einer heterosexuellen Matrix als Gegenteil von Weiblichkeit konstruiert, muss der Alpha-Mann alles als weiblich Konnotierte bei Seite schieben: egal ob das pinker Jogurt ist oder Emotionen. So überspitzt dieser Kommentar auch klingen mag, bei Geschlechterbildern orientieren wir uns immer noch ziemlich stark ein einer bipolaren Ordnung. Scheinbar intuitiv geben wir bestimmten Eigenschaften ein männliches bzw. weibliches Geschlecht:
Wortkarg – kommunikativ
Dominant – vermittelnd
Rational – emotional
Verstand – Körper
Stark – Schwach
Die Auswirkungen dieses Schubladendenkens sind schwer zu unterschätzen, denn sie zwingen Menschen in ein Korsett voller Erwartungen und Pflichten. Andererseits hat diese Korsett auch seine Vorteile, da es Identitätsstiftend ist und für viele weiße cis-Männer mit Privilegien verbunden ist (#Thomaskreislauf). Wenn nun dieses Korsett durch gesellschaftlich, politische der wirtschaftliche Veränderungen in Frage gestellt wird, dann fühlt man sich schnell bedroht und Teil von
toxic masculinity ist es auf Unsicherheit mit Aggressivität zu reagieren. Zielscheibe dieses Hasses sind dann insbesondere diejenigen, die Veränderungen vorantreiben wollen, wie
Politiker*innen, Journalist*innen oder Aktivist*innen, oder diejenigen, die diese Veränderung repräsentieren, wie zum Beispiel
nicht-weiße Menschen.
Können nicht auch Frauen toxisch sein?
Ja, auch Frauen benehmen sich manchmal toxisch. Aber der Punkt bei
toxic masculinity oder eben
toxic femininity ist nicht, wie sich einzelne Individuen verhalten, sondern es geht um das System dahinter. Darum wie starre soziale Normen unser Bild von Männlichkeit bzw. Weiblichkeit prägen. Und die gibt es bei Weiblichkeit natürlich auch: Permanent vermittelt zu bekommen, dass man als Frau gut aussehen muss, um etwas wert zu sein, ist toxisch. Permanent vermittelt zu bekommen, dass man als Frau doch am besten verheiratet ist und Kinder hat, ist toxisch. Von klein an gelehrt zu werden, dass Frauen ‚stutenbissig‘ sind und andere Frauen nur Konkurrenz am Heiratsmarkt sind, ist toxisch.
Der große Unterschied
Und dennoch gibt es einen großen Unterscheid zwischen den beiden: toxische Weiblichkeit ist viel weniger gefährlich als toxische Männlichkeit. Denn toxische Männlichkeit richtet sich auch nach außen, in Form von Gewalt gegen andere, vor allem Frauen und Menschen, die als ‚weniger männlich‘ erachtet werden.
‚If violence is constitutive of masculinity, then violence becomes the mode by which one asserts one’s masculinity. This assertion can take the form of symbolic violence and extend to physical violence too’, erklärt Syed Haider. Diese Gewalt äußert sich nicht nur durch Frauenhass im Netz, der versucht eloquente Frauen einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Oder durch sexuelle Belästigung und Mobbing am Arbeitsplatz (wovon übrigens nicht nur Frauen, sondern alle Gender betroffen sein können), sondern auch durch häusliche Gewalt und Femizid. Eine Studie der
United Nations zeigt den Zusammenhang:
“Intimate partner violence against women and girls is rooted in widely-accepted gender norms about men’s authority …and men’s use of violence to exert control over women. Research shows that men and boys who adhere to rigid views of gender roles and masculinity … are more likely to use violence against a partner.”
Das Konzept von
toxic masculinity ist deshalb so hilfreich, weil es uns zeigen, dass bestimmte traditionelle Gendernormen schädlich sind. Sowohl für die, die mühevoll versuchen sie zu erfüllen, als auch für andere. Und das Konzept gibt Hoffnung, denn es zeigt, dass dieses enge Korsett ein Konstrukt ist und aufgeknöpft werden kann.
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References:Banet-Weiser, Sarah & Miltner, Kate M. (2016) ‘#MasculinitySoFragile: Culture, structure, and networked misogyny’ in:
Feminist Media Studies Vol. 16 (1), pp. 171-174.
Haider, Syed (2016) ‘The Shooting in Orlando, Terrorism or Toxic Masculinity (or Both?)’
in:
Men and Masculinities. Vol. 19 (5), pp. 555-565.