NICOLE SHEPHARD - FEBRUARY 12, 2023

Weißer Feminismus: Was ist White Feminism?

“White feminism’s blueprint for empowerment is always about women participating in capitalism the way men do, and rarely about imagining a world where everyone’s basic needs are met.” Gabriella Alexa Noel

White feminism ist ein kritischer Begriff, der Ausprägungen des Feminismus und feministische Handlungen beschreibt, die sich einseitig für privilegierte – meist weiße – Frauen engagieren, ohne zu berücksichtigen, dass Frauen of colour und andere marginalisierte Frauen dadurch ausgeschlossen oder benachteiligt werden. Diese Form der Kritik hat eine lange Geschichte, und ist in den letzten paar Jahren auch im Internet und unter jungen Aktivist*innen immer populärer geworden.

Zur Definition

White feminism verschleiert, wie unsere feministische Praxis Diskriminierung und Exklusion, etwa in Form von Rassismus, Transfeindlichkeit oder Klassismus in die Hände spielen kann. Koa Beck definiert white feminism so:

“White feminism [is] an ideology and a very specific approach and strategy toward achieving gender equality that focuses more on individual accumulation, capital and individuality — accruing power without any redistribution or reconsideration of it. And that’s why white feminism overlaps with white supremacy and classism and transphobia, because there’s no analysis of that power and it’s very singular in its execution and goals.”

Kaum jemand wird sich selbst als white feminist beschreiben, besonders keine Feministin weißer Hautfarbe. In der Regel tritt der Begriff als Kritik an feministischen Handlungen oder Äußerungen auf, die privilegierte, meist weiße Frauen zentrieren. Das geschieht zwar oft ungewollt, doch wiegen die Auswirkungen hier schwerer als die Intention.

Dabei meinen wir es doch so gut. Frauenpower! Gleichberechtigung! Empowerment! Das kommt letztendlich doch bestimmt allen Frauen zugute? Müssen wir denn wirklich jedes Thema zum Race Thema machen? Das polarisiert doch nur unnötig. Können wir uns nicht alle erstmal auf das Wesentliche konzentrieren? Wenn du diese und ähnliche Argumente schonmal gehört hast, hast du dabei Paradebeispiele von white feminism erlebt.

Wogegen richtet sich die Kritik des white feminism?

Wenn wir Themen wie die Gleichstellung der Geschlechter oder die Frauenförderung zentrieren, trennen wir Sexismus von anderen Formen von Diskriminierung. Damit drehen sich unsere Interventionen hauptsächlich um weiße, heterosexuelle, nicht behinderte Frauen des Mittelstandes. Das bedeutet nicht, dass Frauen of colour, Migrantinnen, behinderte Frauen oder einkommensschwache Frauen keinen Sexismus erleben. Im Gegenteil. Und doch ist ihre Erfahrung von Sexismus nicht dieselbe, da Sexismus für sie oft eng mit Rassismus, Klassismus oder Ableismus einhergeht.

Und daran ändert sich auch nichts, wenn der (weiße) Feminismus mehr Frauen in Führungspositionen, Verwaltungsräte oder öffentliche Ämter befördert. Oder wenn wir Frauen empowern, selbstbewusster aufzutreten, besser zu verhandeln, oder mehr Startups zu gründen. Nicht von ungefähr werden Begriffe wie "corporate feminism" oder "girlboss feminism" oft im selben Atemzug mit white feminism genannt. Solche Ausprägungen von Feminismus wollen Gleichstellung durch Eigeninitiative erreichen. Teresa Bücker nennt dies kritisch "Choice-Feminismus":

"Choice-Feminismus ist ein herrlicher Trick, um sich selbst zu befreien: Du verdienst zu wenig in deinem Job? Dann entschiede dich doch für einen, der besser bezahlt wird. Du hast zu wenig Zeit für dich selbst? Dann entscheide Dich doch dafür, einen Babysitter anzustellen. Du fühlst dich im Vergleich mit anderen nicht schön? Dann entscheide dich doch für teure Schönheitsprozeduren und ändere dein Mindset. Choice-Feminismus ignoriert strukturelle Ungleichheiten und geht davon aus, dass jede Person gesellschaftliche Normen für sich allein außer Kraft setzen kann." (Bücker 2022)

White feminism ist also eine Art feministischer Ansatz zur Erreichung der Gleichstellung der Geschlechter, der sich stark auf Werte wie Individualismus und Eigeninitiative stützt. Gegen diese einseitige Besetzung des Feminismus Begriffs, der sich primär für bereits hoch privilegierte, weiße Frauen einsetzt, richtet sich die Kritik des white feminism.

Zur Geschichte

Die Anfänge von white feminism finden sich in der weißen, mittelständischen Suffragette Bewegung, die sich im späten 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts für das Frauenstimmrecht einsetzte. Um sich gegen radikalere Aktivistinnen abzugrenzen und breitere Akzeptanz zu finden, präsentierten sich moderat gesinnte Suffragettes in Medien und Öffentlichkeit als Idealtyp. Sie gaben sich dabei gern als konventionell feminine, junge, attraktive weiße Frauen, die Ehe und Mutterschaft anstreben (Beck 2021). Dabei waren auch Frauen of colour und Arbeiterinnen aktiv und prägend an der Bewegung beteiligt. Bis heute zeichnet die mediale Repräsentation der Suffragette Bewegung jedoch gerne ein weißes Heldinnenportrait. Schwerer verdauliche Kost, wie etwa das rassistische und koloniale Gedankengut in der Suffragette Bewegung, wird gerne ausgeblendet.

In den 1970er und 80er Jahren übten schwarze Feministinnen vermehrt Feminismuskritik. Dabei ging es vor allem um die Unterschiede zwischen verschiedenen Frauen. Während das feministische Selbstbild unreflektiert Gemeinschaft zwischen allen Frauen sah, wandten schwarze Feministinnen ein, dass feministische Forderungen hauptsächlich die Gleichstellung von Frauen der weißen Mittelschicht im Blick hatten. Die U.S. Amerikanische schwarze Rechtswissenschaftlerin Kimberlé Crenshaw beschrieb dies schließlich als Intersektionalität. Sie fasste damit unter anderem in Worte, wie die Sexismuserfahrung schwarzer Frauen oft rassifiziert ist, während ihre Rassismuserfahrung gleichzeitig vergeschlechtlicht ist. Neben Gender und Race, umfasst intersektionelles Denken aber auch andere Differenzkategorien, wie zum Beispiel die soziale Herkunft, Behinderung oder die sexuelle Orientierung.

Gut Ding will Weile haben, doch die Intersektionalität hat sich inzwischen relativ breit etabliert. Seit ca. 2010 sprechen wir deshalb von einer intersektionellen Welle des Feminismus. Heißt das, die Kritik an white feminism war von ultimativem Erfolg gekrönt und ist nun ein Relikt der Vergangenheit? Leider nein. Denn erstens sind noch längst nicht alle feministischen Interventionen so intersektionell wie wir uns wünschen würden, und zweitens schützen auch die besten Absichten nicht vor weißen Flecken.

Nach wie vor gibt es unzählige Beispiele von feministischen Ansätzen und Initiativen, die zwar wohl-gemeint sind, sich jedoch lediglich für die Rechte, Gleichbehandlung, oder Förderung einer bereits relativ privilegierten Gruppe von Frauen einsetzt und so weniger privilegiert Frauen weiter marginalisiert.

So zum Beispiel Sheryl Sandbergs populärer Lean In Ansatz. Sie forderte Frauen damit auf, sich nicht selbst im Weg zu stehen, sich beruflich richtig reinzuhängen und ihren Platz am Tisch einzufordern – per Selbstempowerment in die Führungsetage sozusagen. Dabei blieb oft außer Acht, dass dies für die wenigsten Frauen realistisch ist. Am besten positioniert, sich einfach reinzulehnen, sind nämlich (mehrheitlich weiße) Angestellte der Mittelschicht mit bereits relativ erfolgreichen Karrieren. Frauen in Einstiegspositionen, Frauen der Arbeiter*innenklasse oder Frauen mit niedrigerem Bildungsniveau ist es aufgrund struktureller Ungleichheiten dagegen kaum möglich, sich mal eben selbstbewusst bis in den Chefsessel durchzusetzen.

White feminism endet natürlich nicht mit Lean In und ähnlich positionierten Feminismen. White feminist Ideologien und Praktiken, wie auch ihre intersektionale Kritik, wird in den sozialen Medien, in Unternehmen, an Universitäten, und der (medialen) Öffentlichkeit gelebt und weiter geformt. Koa Beck erklärt, dass white feminism gerade deshalb so langlebig ist, weil es eine leicht bekömmliche, relativ unkritische Form von Feminismus ist. Denn white feminism fordert uns kaum dazu auf, unsere Strukturen und Lebensweise zu ändern oder unsere Beziehung zu anderen Frauen zu überdenken.

Was tun?

White feminism dominiert leider die Geschichte der feministischen Bewegung. Wir können aber dafür sorgen, dass die feministische Zukunft vielfältiger aussieht. Als Feminist*innen tragen wir die Verantwortung, diese Zukunft aktiv und intersektionell zu gestalten.

Feminismus kommt nicht in Einheitsgröße. Viele Feminist*innen erfahren am eigenen Leibe in einigen Bereichen Privilegien und in anderen Marginalisierung. Der Vorwurf des white feminism richtet sich in der Regel nicht persönlich gegen individuelle Feministinnen weißer Hautfarbe, sondern gegen tote Winkel und Ausschlüsse im feministischen Handeln. Sehen wir uns als Feminist*innen mit dem Vorwurf konfrontiert, kann das erstmal etwas weh tun. Es ist aber wichtig, dass wir uns die Kritik zu Herzen nehmen ohne uns persönlich angegriffen zu fühlen. Wie können wir als weiße Feminist*innen da am besten reagieren? Zuhören, reflektieren und dazulernen, und dabei dem Drang widerstehen, uns gleich wieder selbst zu zentrieren. Sogenannte “white woman tears” (Di Angelo 2018) fließen nämlich, wenn wir uns lautstark unverstanden fühlen und in die Defensive gehen, statt uns ehrlich mit der Kritik auseinanderzusetzen.

Es lohnt sich, sich die Zeit zu nehmen unser Handeln kritisch zu hinterfragen und zu lernen, was wir anders tun können um Frauen of colour, aber auch z.B. behinderte Frauen, neurodiverse Frauen, nicht-binäre Menschen, Migrantinnen, Geflüchtete, Frauen der Arbeiter*innenklasse oder Frauen in Armut zu berücksichtigen. Denn auch wenn etwas mich persönlich, meinen direkten Bekanntenkreis, oder die Mehrheit nicht benachteiligt, kann es trotzdem diskriminierend sein – sogar wenn ich nicht auf Anhieb verstehe warum.

* trans Frauen sind Frauen.
**Weiß ist in diesem Blogeintrag kursiv geschrieben, um die konstruierte Natur dieses Begriffes zu verdeutlichen. Es ist klein geschrieben, da es sich, im Gegensatz zu Benennungen wie Schwarz und People of Color, um keine politische empowernde Selbstbezeichnung, sondern um die konkrete Benennung einer privilegierten Positionierung handelt. Ich folge hier Lann Hornscheidt.

Literaturempfehlungen zu white feminism:

Beck, Koa. 2021. White Feminism: From the Suffragettes to Influencers and Who They Leave Behind. Atria Books.

Bücker, Teresa. 2022. Alle_Zeit: Eine Frage von Macht und Freiheit. Ullstein.

Di Angelo, Robin. 2018. White Fragility: Why It’s So Hard for White People to Talk About Racism. Beacon Press.

Eddo-Lodge, Reni. 2017. Why I’m No Longer Talking to White People About Race. Bloomsbury.

Zakaria, Rafia. 2021. Against White Feminism-Notes on Disruption. Norton & Company.

Warum ausgerechnet wir?

“We speak the same language with Anne since our first meeting. She is an open, natural, knowledgeable communicator and a flexible business partner. Happy to develop together with her on our globally implemented Unconscious Bias workshops.”

— Sevkan Bolu, Global HR Manager, Vaillant Group
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